· 

Der Weg zum Frieden

Foto: Heike Brandl
Frieden von Gyula Várnai im Budapester Museum Ludwig 2018

 

Sind Sie friedlich ins neue Jahr gestartet? Oder haben Sie es mit Raketen, Knallern und einer Bombenstimmung begonnen?

Hatten Sie eine freundliche und harmonische Atmosphäre bei Familienfesten und im Freundeskreis? Oder gab es Zank und Streit?

Haben Sie letzte Nacht seelenruhig und sanft geschlafen? Oder zerbrachen Sie sich den Kopf über verschiedene Probleme?

Friedliche Sprache – kriegerische Sprache. Erkennen Sie den Unterschied? Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht – oder bemerkt – welch unterschiedliche Wirkung das auf Sie selbst hat?

Oftmals ist unsere Alltagssprache grob, aggressiv und von einem harten, unbedachten Umgangston geprägt. Mit unseren Wörtern senden wir innere Bilder ans Gehirn. Diese Bilder kommen auch in unserem Unterbewusstsein an.

Obwohl wir seit über 70 Jahren Frieden in Deutschland haben, ist unsere Sprache noch immer geprägt von kriegerischen und gewalttätigen Ausdrücken und Redewendungen. Das hat gewissermaßen historische Gründe: In unserer Geschichte gab es viele Kriege und der Krieg war in früheren Zeiten Alltag. Es gab selten solch lange Friedensperioden, wie wir sie heute erleben. Und in vielen anderen Regionen dieser Welt gibt es weiterhin Kriege. Davon hören wir täglich in den Nachrichten. Und auch wenn zwischen vielen Nationen keine Auseinandersetzung mit Waffen stattfindet, gibt es Wirtschaftskriege, da wird in den Verhandlungen mit harten Bandagen gekämpft, da werden die Parteien auf die Folter gespannt. Einige dieser Redewendungen reichen bis ins Mittelalter zurück.

Wir kriegen Geschenke oder auch einen Anfall

Das Wort „kriegen“ klingt wie Krieg und ist mit diesem auch etymologisch verwandt. Wir verbinden damit unbewusst Ängste und Gewalt. Wir benutzen es in Sätzen wie

·         „Was hast du zu Weihnachten gekriegt?“

·         „Ich kriege ein Kind.“

·         Wenn sich jemand aufregt, sagt er auch „Ich kriege gleich einen Anfall!“

Stellen Sie sich die Sätze einmal bildhaft vor! Ein Kind kriegen klingt schon nach Kampf. Und wollen Sie wirklich einen Herzanfall oder Schlaganfall kriegen?

In der Schweiz hingegen gibt es das Wort „kriegen“ nicht. Die Schweiz ist ein neutrales Land und führt keine Kriege. So aufschlussreich ist die Sprache. Lassen Sie uns die oben genannten Sätze wandeln:

·         „Was hast du zu Weihnachten bekommen?“

·         „Ich bekomme ein Kind.“ (und wenn es noch eine Weile dauert: „Ich werde im Sommer ein Kind bekommen.“ Alternativ: „Ich werde ein Kind gebären.“)

·         Anstatt einen Anfall zu kriegen, sagen Sie je nach Situation, z.B. „Meine Geduld ist zu Ende.“ „Diese Situation ist ärgerlich.“ „Tanja, bitte erklär mir, wie es dazu kam!“

„Bekommen“ klingt schon vom Wort weicher und für mich entsteht da ein schönes Bild: Um etwas zu bekommen, entgegen zu nehmen, stehe ich dem Schenkenden mit offenen Händen und offenem Blick gegenüber. Diese Geste zeigte früher auch die friedliche Absicht zweier Menschen an. Zeigten sie die offenen Hände, war klar, dass keiner eine Waffe in der Hand führt oder aus dem Ärmel zieht.

Ein Kind zu bekommen ist wohl für die meisten Frauen nicht ganz so leicht, wie ein Geschenkpäckchen entgegen zu nehmen. Dennoch macht es deutlich, dass das Kind ein Geschenk ist, das unser Leben bereichert. Und ich habe tatsächlich gehört, dass Hebammen sagen, Frauen die Kinder bekommen, anstatt sie zu kriegen, hätten eine leichtere Geburt. Das allein wäre doch die Sache schon wert: Falls Sie gerade schwanger sind, lege ich Ihnen sehr ans Herz, Ihr Kind zu bekommen. Wie gerne hätte ich das auch schon früher gewusst… Der Ausdruck „gebären“ hingegen verdeutlicht den aktiven Part der Frau.

Kennen und nutzen Sie folgende Redewendungen? Hören Sie sich selbst zu! Sie werden staunen!

·         „Ich habe ein Attentat auf dich vor!“

·         (am Telefon) „Ich muss Sie jetzt leider abwürgen!“

·         „Heute ist ein Bombenwetter!“

·         „Der Film war brutal spannend!“

·         „Ich habe einen Ratschlag für dich.“

·         „Ich könnte dich auf den Mond schießen!“

·         (über einen dritten) „Der Typ hat doch einen Schlag!“

·        „Der Termin haut nicht hin.“

Schreiben Sie mir in den Kommentaren, welche Alternativen Sie stattdessen künftig benutzen wollen.

Foto: Heike Brandl
Regenbogen von Gyula Várnai im Budapester Museum Ludwig 2018

 

Selbst Menschen, die sich bereits mit der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg befasst haben, ist oft nicht bewusst, welch aggressives Potential noch in ihrer Sprache steckt. Es erfordert eine hohe Aufmerksamkeit, denn in der Regel reicht es nicht aus, einzelne Wörter zu tauschen. Wie Sie in meinem Beispiel oben („Ich kriege gleich einen Anfall.“) gesehen haben, kann es eben auch ganz unterschiedliche Alternativen geben.

Ich empfehle Ihnen, sich eine Situation aus dem beruflichen oder privaten Alltag auszuwählen, in der Sie bislang ein Wort oder eine Redewendung aus dem kriegerischen Bereich gebrauchen. Finden Sie dafür neue Formulierungen und integrieren Sie diese achtsam und allmählich in Ihre persönliche Sprache. Sie werden über das Hinhören, auch bei anderen, sensibler dafür werden.

Warum sollten wir denn überhaupt auf kriegerische Sprache verzichten?

Die Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling erklärt im „merton magazin“ (Links zu den Quellen am Ende des Artikels) dazu, dass sich Sprache direkt im Gehirn auswirkt. Ähnlich wie beim Laufen durch eine Wiese allmählich ein Trampelpfad entsteht, entstehen neuronale Verbindungen im Gehirn. Sprachinhalte oder -strukturen, die wir häufig verwenden, schaffen die Voraussetzungen, dass das Gehirn diese kennt und sie auch in Verhalten umsetzen kann. Sie erläutert, dass wir den Begriff „schlagen“ mit einer Hand- und Armbewegung verknüpfen.

Das Wortfeld „schlagen“ ist groß, z.B. Aufschlag, Ratschlag, Vorschlag, Schlagabtausch, Schlagloch, Schlagwort, Ausschlag. Das Verb „schlagen“ kann man verwenden beim Sahne schlagen, etwas schlägt auf den Magen, jemanden beim Spiel schlagen, eine Rechnung überschlagen, die Seite aufschlagen, der Regen schlägt gegen die Fenster und vieles mehr.

Wird aus Sprache Gewalt?

Ich ziehe die Schlussfolgerung: Wenn ich aus diesem Wortfeld häufig Wörter benutze, liegt es nahe, dass ich dann auch leichter zuschlage. Vielleicht mag das mancher als gewagte Theorie einschätzen. Doch bei meiner Recherche fiel mir etwas auf

Ganz aktuell haben verschiedene Zeitungen sich mit dem Thema befasst: Die „Zeit“ vom 09.01.19 berichtet in dem Artikel „Wie aus Sprache Gewalt wird“ über die Brutalisierung der öffentlichen Rede und die dramatischen Konsequenzen für die Demokratie.

Der Bonner General-Anzeiger vom 04.01.19 klärt über Begriffe zum Thema Gewalt in der Gesellschaft auf. Abschließend fasst der Autor zusammen:

Darum ist Verständigung in einer Gesellschaft nur möglich, wenn um die Bedeutung von Begriffen gerungen wird. Respektvoll. Und auch selbstkritisch.“ Wir tragen mit unserer Sprache folglich auch Verantwortung für unsere Gesellschaft. Dies ist ein wichtiges Anliegen der LINGVA ETERNA Dozentenvereinigung e.V.

Welche Wege präge ich in meinem Gehirn mit meiner Sprache? Und welche will ich prägen? Es ist doch viel schlauer, mit friedlichen, positiven Formulierungen in der Sprache auf die neuronalen Verbindungen im Gehirn einzuwirken.

Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Wörter,

achte auf deine Wörter, denn sie werden Handlungen,

achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten,

achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter,

achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.

 

Foto: Heike Brandl
Freiheitsbrücke in Budapest - Wörter können zu Brücken zwischen Menschen werden

 

Suche Frieden und jage ihm nach!

Anstatt guter Vorsätze für das neue Jahr gibt uns die biblische Jahreslosung für 2019 (Psalm 34,15b) einen Leitspruch mit auf den Weg. Diese Losung ist wegweisend auch in sprachlicher Hinsicht. Jeder Einzelne ist aufgerufen, Frieden zu schaffen und dies kann ganz leicht in der eigenen Sprache beginnen. Wie das konkret aussehen kann, werde ich gleich erläutern. Zunächst will ich jedoch auf die Bedeutung des Friedens in diesem Psalm hinweisen.

Die Journalistin und evangelische Theologin Anne Kampf schreibt auf evangelisch.de: „In diesem Fall: streben nach dem Frieden, hebräisch "Schalom". Dieser Begriff bedeutet weit mehr als die Abwesenheit von Krieg oder Streit. Er umfasst laut Bibelwissenschaften.de Bedeutungen wie "ungefährdetes Wohlergehen, Glück, Ruhe und Sicherheit", "lebensfördernde Geordnetheit der Welt" oder auch "Zufriedenheit". Renate Karnstein drückt es so aus: "'Schalom' meint eine tiefe Sehnsucht nach einer heilen, unversehrten Welt, in der keine Gefahr mehr droht. 'Schalom' ist die unverbrüchliche Hoffnung auf ein gerechtes und alle Feindschaft überwindendes Miteinander der ganzen Schöpfung."

Dieser umfassende Friedensbegriff wirkt sich auf unser ganzes Leben aus. Suchen Sie Frieden! Und ich ergänze: Dann werden Sie Frieden finden!

Konkret: 7 Tipps zur friedlichen Sprache

1.    Werden Sie sensibel für kriegerische und gewalttätige Ausdrücke in der Sprache! Wie wirken diese auf Sie selbst und auf Ihre Gesprächspartner?

2.    Beginnen Sie bei sich selbst Alternativen zu finden! Integrieren Sie diese bewusst für vier Wochen in Ihre aktive Sprache!

3.    Lassen Sie andere Menschen reden, wie sie es gewohnt sind. Wenn Sie sich an einer Redewendung stören, wandeln Sie diese für sich in Gedanken um.

4.    Wenn Sie eine gute Beziehung zu diesem Menschen haben oder die Vermutung, dass das Thema für ihn interessant ist, suchen Sie ein ruhiges Gespräch. Erzählen Sie, womit Sie sich befassen.

5.    Seien Sie ein positives Modell! Sprache steckt an! Indem Sie Beispiel geben, lernen andere.

6.    Bringen Sie Wertschätzung in Ihre Sprache! Hierzu finden Sie einige Hinweise in meinem Artikel vom Dezember 2018

7.    Nehmen Sie die Wörter „Frieden“ und „friedlich“ in Ihren aktiven Wortschatz auf. Sie werden erleben, welch positive Wirkung dies auf Ihre eigene Ausstrahlung und die Menschen in Ihrer Umgebung hat.

So wünsche ich allen „Schalom“ für das Jahr 2019!

Links:

https://merton-magazin.de/gedachte-welten-wie-sprache-das-gehirn-praegt

https://www.zeit.de/2019/03/sprachliche-radikalisierung-brutalisierung-gewalt

http://www.general-anzeiger-bonn.de/news/politik/deutschland/Wann-man-von-Amok-Hetzjagd-und-Terror-spricht-article4011179.html

https://lingva-eterna-dozentenvereinigung.de/startseite/

https://www.evangelisch.de/inhalte/154273/02-01-2019/bibilische-jahreslosung-2019-suche-frieden-und-jage-ihm-nach

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Heidrun (Mittwoch, 16 Januar 2019 10:18)

    Hallo Heike! Ich bin immer wieder überrascht, mit welch einfachen Worten die "Sache" auf den Punkt bringst. So verständlich und schlüssig. Noch während des Lesens habe Sophia angerufen, weil dieses "kriegen - bekommen" so fundamental ist. Da liegt ja schon der Ursprung der "Beziehung - Erziehung". Alle deine Blogs lese ich immer wieder mit Begeisterung. Danke. Danke für all deine Arbeit. Die Worte sind so wohltuend und entspannend.

  • #2

    Heike (Mittwoch, 16 Januar 2019 14:23)

    Liebe Heidrun,
    ich danke dir für deine freundliche Rückmeldung. Du darfst den Artikel auch gerne weiterleiten.

  • #3

    Anno Lauten (Montag, 21 Januar 2019 10:44)

    Liebe Heike Brandl,
    vielen Dank für diesen interessanten Beitrag, in dem ich auch noch weitere Quellen und Gedanken zu diesem wichtigen Thema finde, zu welchem ich am 16. Januar mein Webinar auf smile2 veranstaltet habe. Ich bin fest davon überzeugt, dass jede Bewusstseinsveränderung in die friedliche Richtung eine positive Wirkung hat :)