· 

Haben Sie Zeit?

 

In den letzten „Sprachnachrichten“ habe ich ein Wortfasten angeregt. Ich habe Ihnen empfohlen, während der Fastenzeit das Wort „schnell“ in Ihrem Sprachgebrauch zu reduzieren. Haben Sie es ausprobiert? Welche Wirkungen haben Sie wahrgenommen?

 

Schnell ist ein Wort, das bei häufigem Gebrauch Stress erzeugt. Doch auch andere Wörter können diese Wirkung haben. Wie oft verwenden Sie das Wort „Stress“ selbst? Und wie ist es mit flitzen, rennen, eilen, rasen, geschwind, mal eben …?

 

Interessant ist auch der Gebrauch des Wortes Zeit. Gehetzte Menschen sprechen von Zeit hauptsächlich in der Verneinung. Sie sagen „Ich habe keine Zeit.“ Die Energie folgt der Aufmerksamkeit, d.h. sie werden auch so wirken, also ob sie keine Zeit haben und stets in Eile sind. Dabei haben sie ebenso viel Zeit wie andere Menschen. Es ist eine Frage der Prioritäten im Leben, wofür Sie sich Zeit nehmen.

 

Und es ist eine Frage des sprachlichen Umgangs mit der Zeit. Wie reagieren Sie auf einen Anruf, der Ihnen in dem Moment ungelegen kommt? „Ich habe jetzt keine Zeit.“ – Das kann auf Kunden oder Freunde barsch oder abweisend wirken. Die folgenden Antworten sind besser geeignet und wirken wertschätzend auf den Anrufer. Je nach Situation können Sie folgendes sagen:

 

·         „Ich gehe jetzt gleich zu einer Besprechung. Darf ich Sie morgen anrufen?“

 

·         „Ich bekomme gleich Besuch. Darf ich dich morgen anrufen?“

 

·         „Lassen Sie uns einen Termin finden, an dem wir beide Zeit für ein ausführliches Gespräch haben.“

 

 

 In dem Maße, wie Sie Worte des Drucks und der Hetze aus Ihrem Sprachgebrauch weglassen, werden Sie merken, wie Sie Freiraum für sich und Ihre wesentlichen Aufgaben gewinnen.

 

 

Umgangston in der Schule

In einem meiner letzten Seminare ging es um das Thema friedliche Sprache in der Schule. Ich regte an, im Unterricht zu thematisieren „wie reden wir miteinander und übereinander, wie wirken (beleidigende) Ausdrücke auf uns, was können wir stattdessen sagen“. Ein Lehrer meinte, dazu habe er keine Zeit, die Unterrichtsinhalte haben Vorrang, der Stoff ist genug. In seinem speziellen Fall – Mathe 12. Klasse kurz vor dem Abitur – mag ich das stehen lassen. Doch wie ist es denn in anderen Klassenstufen, zu anderen Zeiten?

 

Stellen Sie sich einmal die Frage: Ist das wahr?

 

Nun, vielleicht ist die Zeit nicht in der nächsten Stunde zur Verfügung. Doch gibt es Leerlauf-Zeiten im Schuljahr, wo sich so ein Thema einplanen lässt. Ich erinnere mich gut, wie oft meine eigenen Kinder am letzten Schultag vor irgendwelchen Ferien Filme angeschaut haben (die nicht unterrichtsrelevant oder pädagogisch wertvoll waren). Gerade vor den Sommerferien, vor Weihnachten oder auch wenn die Noten fürs Zwischenzeugnis geschrieben waren, gab es da durchaus Zeit für ein Unterrichtsgespräch zum Thema Umgang in der Klasse.

 

Wertschätzung erreichen

Manchmal ist es auch sinnvoll, sich die Zeit für das zu nehmen, was jetzt am Wichtigsten erscheint. Und wenn das der Umgangston in der Klasse ist, reinigt das die Atmosphäre und das Lernen und das Unterrichten werden danach wieder leichter gelingen.

 

Wofür haben Sie keine Zeit?

 

Ist das wahr?

 

Ich wünsche Ihnen etwas Muße, um das für sich zu erkunden.

 

PS: Und was hat das Bild mit dem Thema zu tun? Auf dem Foto sehen Sie den Gurgler Ferner im Ötztal, wo ich 2017 beim Wandern war.

Standen Sie schon mal vor einem Gletscher? Wenn wir über seine Entstehung nachdenken, gewinnt der Begriff „Zeit“ noch eine ganz andere Dimension. Beim Schmelzen können wir ihm im Sommer zuschauen. Nehmen Sie sich einmal die Zeit dafür! Dieses Erlebnis ist beeindruckend. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0